Die gegenwärtigen Entwicklungen in der Technologie bieten Beratern und Coaches eine Vielzahl neuer Möglichkeiten. Eine dieser neuen Möglichkeiten ist die Nutzung von KI, konkret ChatGPT, im Alltag der systemischen Beratung. Doch bevor wir blindlings auf den Trend aufspringen, lohnt es sich, einige Schritte zurückzugehen und zu reflektieren: Braucht es diese Technologie wirklich? Welche Auswirkungen hat ihre Einführung auf unsere Praxis und unser Verständnis von Veränderung?
Der erste Schritt einer systemischen Betrachtung besteht darin, die Gegenwart zu analysieren. ChatGPT kann – oberflächlich betrachtet – die Arbeit eines Beraters unterstützen, indem es eine große Menge an Information und eine Vielzahl von Perspektiven bietet. Es steht also als Werkzeug bereit, um systemische Dynamiken zu ergründen, Informationen zu strukturieren und Hypothesen zu generieren. Doch ist es sinnvoll, eine Maschine die Rolle des Reflexionspartners einnehmen zu lassen? Was passiert, wenn wir menschliche Gesprächsprozesse und das Begreifen komplexer Zusammenhänge zunehmend in die Hände eines Algorithmus legen?

Von der Neutralen Schnecke zur Emotionalen Schleife: Reflektion und Relevanz
Betrachten wir zunächst die Vergangenheit. Die Wurzeln systemischer Beratung liegen im tiefen Verständnis menschlicher Beziehungen, der aktiven Gestaltung von Gesprächen und der Fähigkeit, nonverbale Hinweise wahrzunehmen und darauf einzugehen. ChatGPT kann zwar eine Vielzahl von Gesprächsinhalten simulieren, doch besitzt es die Fähigkeit, menschliche Nuancen zu verstehen? Es stellt sich die Frage, ob und wie solche Technologien mit den Grundprinzipien der systemischen Beratung vereinbar sind. Wäre ein Einsatz von ChatGPT ein nützliches Add-On oder eher eine Einschränkung dessen, was Beratung leisten kann? Diese Fragen stellen den Leser vor eine Entscheidung, die den eigenen Zugang zu Beratung und den eigenen Glaubensätzen hinterfragen lässt.
Ein persönlicher Anker in der Reflexion könnte die Frage sein: Welche Werte leiten meine Arbeit als systemischer Berater? Geht es mir darum, möglichst effizient Lösungen für Klienten zu finden, oder geht es mir darum, in einem partnerschaftlichen Prozess Klarheit und Veränderungen zu ermöglichen? Hier liegt der Schlüssel: Die Emotionalität der Beziehungsebene, die durch echte Empathie entsteht, kann eine Maschine nur bedingt leisten.
Blick in die Zukunft: Wo liegt das Potenzial?
In der Zukunft könnte ChatGPT als eine Art Unterstützungstool betrachtet werden, welches die vorbereitende Arbeit erleichtert, Rechercheaufgaben übernimmt oder als Ideenlieferant für Interventionen dient. Es ist durchaus denkbar, dass KI einen hilfreichen Beitrag zur Komplexitätsreduktion leisten kann – beispielsweise in der Analyse von Unternehmensdynamiken, der Erstellung von Szenarien oder im Coaching-Prozess zur Visualisierung von Zusammenhängen. Doch die Frage bleibt: Wird der Einsatz solcher Technologie den Mehrwert der systemischen Haltung verstärken oder untergraben?
Ein gutes Beispiel ist die Nutzung von ChatGPT zur Erarbeitung von Fragen für ein Coaching-Gespräch. ChatGPT kann Fragen auf Grundlage von Mustern erstellen, die es aus großen Mengen von Textdaten gelernt hat. Doch die wirklich bedeutende Frage in einem systemischen Kontext stellt sich nicht durch eine Mustersuche, sondern durch das Erspüren der Dynamik, durch das Eingehen auf den Kontext und die einzigartige Situation des Gegenübers. Inwieweit kann eine Maschine dies leisten, ohne die Tiefe des persönlichen Kontakts zu verlieren?
Die Wirkung auf den Leser: Reflexion anstoßen
Als Berater sollten wir uns fragen: Was geht es uns an, diese Technologie zu nutzen? Was bedeutet dies für unser Selbstverständnis und für das Verständnis unserer Klienten? Hier möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, einladen, das eigene Handeln zu reflektieren. Ein Überlegen, das über die Frage hinausgeht, ob ChatGPT als Werkzeug nützlich ist, hin zu der Frage: Wie verändert es den Beratungsprozess? Welchen Einfluss hat es auf die menschliche Begegnung?
Auch sollten wir die ethischen Aspekte nicht vernachlässigen. In einer Welt, in der menschliche Gesprächsprozesse durch Algorithmen ersetzt werden könnten, stellt sich die Frage, wie wir die Intimität und das Vertrauen wahren, das für Veränderungen notwendig ist. ChatGPT kann dabei helfen, Strukturen zu finden und Erkenntnisse zu gewinnen, doch bleibt es dabei ein Werkzeug – und nicht der eigentliche Veränderungsprozess.
Fazit
Die Frage, ob und wie ChatGPT in der systemischen Beratung genutzt werden sollte, bleibt eine Frage der persönlichen Werte und Überzeugungen. Als Berater sind wir gefragt, sorgsam zu reflektieren, wo Technologie uns unterstützen kann, ohne die Substanz des menschlichen Kontakts zu untergraben. ChatGPT kann ein Werkzeug sein, das uns dabei hilft, Komplexität zu reduzieren, Ideen zu generieren oder Informationen zu sammeln – aber der Kern der Beratung, das echte Verstehen und Verändern, bleibt uns als Menschen vorbehalten.
Wie denken Sie darüber? Welche Rolle sollte eine KI wie ChatGPT in Ihrem Arbeitsalltag einnehmen? Die Entscheidung, diese Technologie zu nutzen, sollte nicht leichtfertig getroffen werden, sondern aus einer bewussten Reflexion und einer klaren Zielsetzung hervorgehen.
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